Es ist der 31. Oktober 2018, Reformationstag, und über den Schulhof des Matthias-Claudius-Gymnasiums schlendern ein paar Jugendliche, in den Händen Papier mit den Thesen Martin Luthers, die seit einigen Tagen überall auf dem Schulgelände aushängen.
Das Grüppchen äußert laut sein Unverständnis über „das alte Zeug“, bevor man es am Boden zurücklässt und sich voneinander in die Nacht verabschiedet. Ungefähr 80 Minuten später aber wird einer dieser Jugendlichen die Thesen sorgfältig aufheben und eingehend studieren, bevor er zu Bett geht.
Dazwischen hat er, und mit ihm die sehr zahlreich erschienenen Zuschauer, tiefere und ganz unterschiedliche Einblicke in die Lebens- und Gedankenwelt des großen Reformators gewonnen, die die Theaterkurse S3 mit dem Titel martin. leben in bildern unter der Leitung von Frau Buchberger und Herrn Dr. Wegemund für diesen Abend erarbeitet haben. Dabei wandelt das Publikum im komplett bespielten Innenhof der Schule auf Luthers Spuren, erlebt ihn im nächtlichen Gewittersturm und im Streit mit eigenem Vater und dem Papst, aber auch, wenn er Katharina kennen und lieben lernt, es erfährt von Ablasshandel, Widerspruch Luthers und dem Aufbegehren der Bauern, von Glaubensnot und Selbstzweifeln, und es wird Zeuge, wie Luther verurteilt und im Wald entführt wird, bevor er unter mancherlei Versuchungen die Schrift ins Deutsche übersetzt.
Die Schülerinnen und Schüler nähern sich den vielfältigen und häufig komplexen Facetten im Leben und Werk Luthers unvoreingenommen, spielfreudig und einfallsreich; sie verschränken historisch Belegtes und Fiktives, Zeitgenössisches und Aktuelles und nutzen die Möglichkeiten des Aufführungsortes in neuer und oft überraschender Weise: Da wabert aus den Fenstern des Lehrerzimmers der Höllennebel und duellieren sich Teufel und Engel, da tobt unter den Bäumen um Luther der Herbststurm, da erhebt der Papst von hoher Warte aus dem obersten Stockwerk gegen den Kritiker die Stimme, da warten in den Fenstern potenzielle Ehekandidaten auf Katharina oder formieren sich die Bauern als Fackelzug zum Widerstand gegen ungerechte Herrschaft, und vieles mehr. Flankiert von Videosequenzen und untermalt von Soundeffekten und Livemusik verwandelt sich der Schulhof an diesem Abend in einen eigenen Kosmos und demonstriert eindrucksvoll, was Theater in der Schule in besonders glücklichen Momenten leisten kann: aus gegebenem Anlass Raum und Zeit zu überwinden und ein Gemeinschaftserlebnis zu stiften, das Akteure und Zuschauer gleichermaßen berührt.
Dass dieses Vorhaben mit martin. leben in bildern eindrucksvoll gelungen ist, davon zeugen der langanhaltende Schlussapplaus und die vielen positiven Publikumsreaktionen, über die sich die Theaterschülerinnen und -schüler und ihre Spielleitung nach getaner Arbeit freuen dürfen.
Fotos: Feyza Metin (S1-Medienprofil)